Von Kultur und Unkultur – Q1 besucht deutsche Vergangenheit

clip_image002 (2015-11-07 JÜNG) „Man könnte meinen, jeden Augenblick erhebt sich da aus der stinkigen, braunen Flut ein schreckliches Ungeheuer!“ Timo schaudert und blinzelt, als er die fast stockdunklen Stollengewölbe verlässt und wieder ins helle Tageslicht schaut. Einst imagewurde hier, im ehemaligen KZ Dora bei Nordhausen, die sog. „Wunderwaffe“ des Dritten Reiches zusammengebaut. Tief im Inneren der Berghänge des Südharzes. Zum Glück waren diese ersten Raketen der Menschheit für das perverse Dritte Reich nicht mehr kriegsentscheidend.

Gemeinsam mit seinem Leistungskurs Geschichte und weiteren Schülern der clip_image004Geschichtsgrundkurse der Q1 hat Timo diesen Ort des Schreckens besucht. Heute ist es eine Gedenkstätte. Aber bis 1945 mussten Abertausende von Arbeitssklaven des deutschen Größenwahns unter schrecklichsten Bedingungen für ihre “Herrenmenschen”-Peiniger schuften – und sterben! Zu stark belasteten die allgegenwärtige Dunkelheit unter Tage, der Staub der unentwegten Explosionen beim Stollenbau und der erstickende Dieselgestank der eingesetzten Maschinen die Gesundheit der Gefangenen. Zudem schliefen die meisten von ihnen auch noch in dieser Berghölle  – tagein und tagaus. Vernichtung durch Arbeit! Jedem das Seine! So einfach war das.

clip_image008Dora war aber nur ein Außenlager des KZ Buchenwald. Das lag nicht weit von Weimar entfernt auf dem schönen Ettersberg. Einst lustwandelten dort die clip_image006Dichterfürsten Goethe und Schiller und diskutierten auf ihren Spaziergängen das klassische deutsche Theater. Mephisto und die Räuber! Beide hätten sich wohl kaum träumen lassen, dass ihre Gedanken von Freiheit und nationaler Selbstbestimmung nur gut hundert Jahre später so widerlich mit Füßen getreten wurden.

clip_image012Weimar und Buchenwald hatte die Schülergruppe am Tag zuvor besucht. „Ich kann mir die Dimension des clip_image010Lagers und das Ausmaß an Leid heute eigentlich kaum mehr vorstellen. Aber trotzdem finde ich es sehr bedrückend hier zu sein.“ Marion schaudert beim Gedanken an Seziertisch und Krematorium. Nur wenige Minuten zuvor hat sie die Überreste staatlich nicht nur sanktionierten, sondern gewollten Massenmords mit eigenen Augen gesehen. Sie kann es kaum glauben!

Und das alles nur, weil man anders war als die umgebende Mehrheit. Glaube, Kultur, Nationalität, politische Gesinnung – jeder Unterschied war Grund genug zur Deportation in diese Orte ohne jegliche Menschlichkeit.

Hoffentlich bewahrheiten sich die Befürchtungen von Timo nicht! Hoffentlich erhebt sich nicht imageerneut tatsächlich ein Monster aus der stinkigen, braunen Flut. Sie ist offensichtlich auch heute noch da. Im Südharz ist es nur das in die alten Stollen fließende und sich sammelnde Regenwasser, das einem so unheimlich erscheint. Über Tage könnte es der stetig wachsende Strom an Fremdenfeindlichkeit werden, der erneut vor einem solchen Monster schaudern lässt.

Zu fürchten sind nicht mehr nur dumpfe Glatzköpfe oder ewig Gestrige! Im biederen Talar, im muffigen, bürgerlich-besorgten Gewande kommen sie mittlerweile zurück. Die Stammtischparolisten und mahnenden Deutschtümler, die vor den Gefahren männlich-muslimischer Lüsternheit und dem Untergang des Abendlandes warnen. Ganz so, wie es einst der „Stürmer“ pflegte, die antisemitische Hetzzeitschrift par exellence, die selbst Goebbels zu plump-radikal erschien.

Hoffentlich liegt Timo falsch. Hoffentlich muss man keine Furcht vor einem erneuten Ungeheuer aus der stinkig-braunen Flut haben. Die spontane Bereitschaft unserer Schüler, trotz Kosten und Mehrbelastung in der Freizeit an einer solchen Exkursion teilzunehmen, lässt hoffen!