„Ja, ich mache mir Sorgen um die Zukunft.“

image[2015-12-07 HEIP] Landrat Andreas Müller schaut lächelnd in die Runde der 9C. Die hat ihn zu einem Gespräch zur aktuellen Flüchtlingskrise eingeladen. Und er widmet sich den Schülern eine ganze Doppelstunde lang als geduldiger und kompetenter Gesprächspartner. Schließlich ist der Kreis Siegen-Wittgenstein Träger von zwei der insgesamt vier Erstaufnahmeeinrichtungen in NRW. Entsprechend viele Fragen haben die Schüler und stellen sie auch sehr unbefangen: Was kommt da noch auf uns zu? Was wird getan? Wie werden die Flüchtlinge im Kreisgebiet verteilt? Wie versorgt man sie? Ausführlich erörtert die Klasse gemeinsam mit dem Landrat die aktuelle Lage vor Ort, überlegt Handlungsmöglichkeiten, klärt grundlegende Probleme der Flüchtlingsaufnahme auf europäischer Ebene. Eine Politikstunde, wie sie lebendiger nicht sein kann!

90 Minuten hören die Schüler wie gebannt zu und diskutieren eifrig mit einem wichtigenimage Entscheidungsträger über eine Thematik, die mittlerweile jeden von uns erreicht hat. Jakob fragt sofort nach den gegenwärtigen Zahlen im Kreisgebiet. „Aktuell gibt es in den Erstaufnahmeeinrichtungen ca. 1200 Menschen und in den Kommunen sind ca. 3000 weitere Personen untergebracht.“, so Müller. “Gleichzeitig ist die Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmeunterkünften auf 10 bis 12 Tage reduziert worden.“ Louisa verweist darauf, „dass viele Menschen sich Sorgen machen im Alltag eingeschränkt zu werden, etwa durch die Belegung einer Turnhalle mit Flüchtlingsfamilien.“ Müller kann diese Sorgen gut nachvollziehen, betont aber, „dass zumindest unser Kreis vorerst nicht auf solche absoluten Notbehelfe zurückgreifen muss.“ Alle sind sich mit dem Landrat einig, dass solche Lösungen ohnehin nur vorübergehend sein können. Wer wolle schon dauerhaft in einer Turnhalle wohnen?

Ob er sich Sorgen um die Zukunft mache, will jemand wissen. “Ja, ich mache mir Sorgen um die Zukunft.” Aber nicht wegen der Menschen, die unsere Hilfe suchten, betont Müller, vielmehr wegen der Reaktionen darauf. Er verweist auf die Wahlerfolge der rechten Parteien in Frankreich und Deutschland, die zuvor auch schon die Schüler beunruhigt haben.

„Europa muss die Probleme gemeinsam lösen. Die aktuelle Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU ist weder fair noch machbar!” meint Niko und stellt weiter fest, dass das Dublinabkommen, das gegenwärtig faktisch ohnehin keine Anwendung mehr fände, auch gar nicht die Lösung sein könne. Andreas Müller pflichtet ihm bei, „dass wichtige Fragen in der EU weder gestellt noch geklärt worden sind. Schnelle Antworten sind nicht immer richtig, nur weil sie uns im ersten Moment logisch erscheinen.“ Laura will wissen, „ob die EU diese Aufgabe überhaupt bewältigen kann?“ „Sie muss es!“, so Müller. „Sonst ist die Idee von Europa gescheitert!“

Nicht nur Andreas Müller macht sich Sorgen um die Zukunft. Auch die 9c fragt sich, was da noch kommen mag und wie wir die Flüchtlinge auf Dauer angemessen versorgen können. Eine Aufgabe für mindestens eine Generation, bei der das Handeln eines Jeden gefragt ist. Da stimmt die Klasse dem Landrat voll zu.

imagePolitik und Wirtschaft gelten oft als “trockene Fächer”, bei denen sich Schüler, vor allem am Nachmittag, langweilen würden. Wer diese Diskussion zwischen unserem Landrat und der diskussionsfreudigen 9C beobachtet hat, kann nur zu einem Schluss gelangen: Das stimmt so sicher nicht! Jedenfalls nicht bei dieser Art von Unterricht und diesem Aktualitätsbezug.